Achte auf deinen Körper, mein Freund!

Dieser Text basiert auf einer Mittwoch-Abend-Meditation von Andreas Schwarz

Mache es dir bequem. Und komm – achte auf deinen Körper! Achte auf deinen Körper. Schau mal ob du atmest: die Luft rein und wieder rausgeht, oder ob du sie anhältst - achte darauf.

Schau dem Körper zu bei diesem Spiel mit dem Atem. Merke, wann immer du ihn anhältst, und halt ihn einfach mal gar nicht an. Merke wie die Luft reingeht, wie sie rausgeht, und wie sie, nachdem sie rausgeht, sogar immer noch weiter rausgeht und wie sie dann einfach wieder reingeht.

Es gibt zwei Arten davon wie sie rausgeht: direkt nach dem Einatmen geht sie raus, und dann, nach dem Rausgehen - wenn du nicht anhältst, nicht verschließt - geht sie immer noch raus. Schau mal, ob du das merkst. Und wenn du das entdeckst, dann merke mal beim Einatmen wie etwas in deinem Hals hochgeht und beim Ausatmen dann wie umschlägt und wieder runtergeht. Merke diesen Moment, wenn die Einatmung an ihr Crescendo kommt, kurz bevor die Einatmung zu Ende ist - kannst du das merken? Und dann legt sich etwas um, und die Ausatmung beginnt. Merke wie das so umschlägt da innendrin. Merk diesen sanften Moment! Dieses sanfte Umschlagen zwischen Ein- und Aus-Atmung.

Merke mal, ob du unruhig wirst dabei? Ob du beginnst nach Luft zu ringen? Ob du beginnst langsamer zu atmen, kontrollierter zu atmen, und dass eigentlich gerade dadurch Unruhe entsteht. Zur selben Zeit begegnet dir vielleicht auch Ruhe, so ein Schweben, als auch so etwas Unnatürliches, etwas  Inszeniertes. Jetzt beginnst du den Atem nicht mehr zu erforschen in dem Sinne, als dass du das Kommen und Gehen des Atems Ergebnis-offen betrachtest, sondern du implizierst schon ganz gewisse Dinge, wie zum Beispiel langsamer atmen ist besser als schnell atmen. Ohne dass du es bemerkst, implizierst du das vielleicht. Oder, dass tief atmen besser ist als flach atmen, durch den Bauch besser ist als durch die Brust, oder umgekehrt, durch die Brust besser als durch den Bauch. Ohne dass du es vielleicht bewusst merkst, setzt du viele Dinge in Bezug auf deinen Atem voraus. Kannst du das merken, während dein Körper atmet, dass deine Vorstellungen bei der Atmung sehr viel Einfluss auf diese haben? Merkst du dieses Spiel? Und: Kannst du diese Verknüpfung fallen lassen? Die Verknüpfung von Vorstellungen über Atem, Atmung und deiner Atmung an sich. Geht das? Oder geht das gar nicht?

 

Der Unschuld begegnen

Und wenn es geht, kannst du merken, dass es etwas ganz Vertrauensvolles hat, etwas ganz Intimes, etwas ganz Nahes hat? So dass du, wenn du dieses Spiel fallen lässt, dir ganz fein begegnest. Sehr unschuldig.  Eine unschuldige Begegnung mit dir selbst, eine unschuldige Begegnung mit dem Atem.

Stell dir vor, ich weiß nicht, ob das gelingt, aber stell dir vor, dass diese Unschuld in der Begegnung mit deinem Atem, mit der Atembewegung des Körpers, dass du diese Unschuld auch empfindest wenn du deinen Gedanken begegnest, wenn du deinen Problemen begegnest, deinen Sorgen.

Sowie du deinen Gedanken, Problemen und Sorgen begegnest, merkst du die kleine Veränderung in deinem Atem? Wie der Atem in den Hintergrund tritt, wie die Bewegung des Körpers in den Hintergrund tritt, und wie vielleicht so eine Unruhe beginnt den Atem zu dominieren, den Körper beginnt zu dominieren? Wie deine Meinungen und Geschichten wieder zurückkommen? Wie du deine Unschuld verlierst? Wie du diese Unschuld verlierst,  die da sein kann, wenn du einfach die Atembewegung des Körpers unvoreingenommen, das heißt ohne Meinungen, beobachtest.

Darf es geschehen, dass keine Meinung sich Raum greift, während du atmest? Keine Meinung nimmt Raum ein und du merkst, wie du aufhörst den Atem festzuhalten. Der Atem geht einfach nur rein- und raus. Du wirst selber merken, ob er schnell oder langsam, tief oder flach ist. Wie bereits erwähnt, du wirst selber merken, ob du die Meinung hast, dass tiefer Atem besser ist als flacher, Bauchatmung besser ist als Brustatmung. Kannst du ohne Meinung die Atembewegung des Körpers beobachten? Ziel-offen, Ergebnis-offen die Atmung des Körpers, die Bewegung der Atmung des Körpers wahrnehmen? Kannst du im Hals-Gaumen-Nacken-Bereich den Punkt merken wo die Einatmung in die Ausatmung übergeht? Diesen sanften Moment der Stille, der da ist. Dass die Luft etwas kühler ist, wenn sie einströmt, und etwas wärmer, wenn sie ausströmt? Dass die Luft beim Ein-atmen anders riecht als beim Aus-atmen und seien es nur Nuancen. Wenn du einatmest Kräfte in deinem Körper strömen und wenn du ausatmest, sie irgendwie anders strömen. Merkst du das, mein Freund? Kannst du das fühlen bei dir?

Kannst du den Bewegungen des Körpers zuschauen? Als wären es Wellen auf dem Meer, wenn du im Urlaub bist und am Strand sitzt. Du wirst merken, es kann sein, dass du einschläfst, es kann sein, dass es sehr friedlich wird, es kann sein, dass dir stinke-langweilig wird. Genau dasselbe, das passieren kann, wenn du im Urlaub am Meer sitzt. Es kann sehr friedlich werden, sehr schön sein, wenn du dem Rauschen zuhörst und den Wellen zuschaust. Es kann total nervig sein, langweilig sein. Es kann sein, dass du einfach einschläfst beim Meeresrauschen.

So - vielleicht wirst du ja friedlich, vielleicht hast du nichts dagegen, wirst du nicht wütend oder genervt oder gelangweilt und vielleicht schläfst du auch nicht ein, vielleicht bist du ja wach.

Für den glücklichen Moment, wenn es dir leicht fällt einfach dem Meeresrauschen, der Atembewegung zu folgen, und alles ist gut, dann schau mal, ob du irgendeinen Wunsch hast oder irgendein Problem hast, eine Sorge hast, und ob der Wunsch, die Sorge, das Problem einfach da sein kann, ohne dass du den Atem verlierst. Nicht so, dass der Wunsch, die Sorge oder das Problem dich total übernehmen, sondern dass genügend Freiraum da ist, dass du merkst, wie der Atem sich verändert, ob er schneller oder langsamer wird, flacher oder tiefer wird und du weniger auf den Inhalt des Problems achtest, sondern mehr auf die Bewegung des Atems achtest, die ausgelöst wird durch den Wunsch, durch die Sorge, durch die schwierige Situation. Vielleicht merkst du das: Es gibt einen Zusammenhang. Kannst du das Ergebnis-offen betrachten? Das sehen und es merken? Vielleicht geht das nicht, weil du wütend wirst oder es sehr langweilig wird, oder weil du einschläfst in der Weise, dass du – schwupps – bei dem Problem bist, bei dem Wunsch bist, aber nicht länger bei der Bewegung des Atems. Dass jetzt deine Phantasiewelt - deine Phantasien, deine Träume - die Wirklichkeit dominiert. Dass deine Gedanken, deine Gefühle, deine Phantasien, deine Träume die Wahrnehmung des Atems dominieren. Dass alle Bewusstseins-Energie, oder der überwiegende Teil der Bewusstseins-Energie, in die Gedanken, in die Träume, in die Ängste und in die Sorgen geht, und für die Wirklichkeit der Bewegung, für die Atembewegung des Körpers nichts übrigbleibt.

Stell dir mal vor, dem wäre gar nicht so, sondern – vielleicht musst du dir das gar nicht vorstellen, vielleicht erfährst du es ja gerade – dass die Sorgen da sind, die Wünsche da sind und die Wirklichkeit da ist, dass die Träume da sind und die Wirklichkeit. Das ist Vergeben, mein Freund! Das ist die Kunst des Verzeihens. Das ist die Kunst der Vergebung. So erfährst du körperlich die Kunst der Vergebung.

 

Die Kunst des Vergebens

Vergebung ist nicht so eine Sache, dass du sagst „Ich vergebe ...“ oder „Ich lasse los ...“. Vergeben – Loslassen – Annehmen – das ist ein und dasselbe! Du musst es in dem Sinne nicht kognitiv machen: vergeben, annehmen, loslassen. Das ist ein Bewusstseins-Prozess, vielleicht wirst du gerade Zeuge in dir, wie dieser Bewusstseins-Prozess des Annehmens-Loslassens-Vergebens geschieht. Kannst du den Träumen, den Gedanken vergeben, sie annehmen, sie loslassen? Kannst du die Wirklichkeit annehmen? Die Atembewegung des Körpers annehmen, während die Gedanken und die Gefühle, die Meinungen da sind, die Träume da sind, die Wünsche, die Hoffnungen und Sorgen? Oder ist es so, dass wenn die Hoffnungen, Meinungen, Gefühle, Wünsche und Sorgen kommen, du die Wirklichkeit, diesen stillen Frieden, diese Schönheit des Kommens und Gehens der Wellen verlierst?

Komm wir gehen noch einen Schritt weiter!

Wenn wir einmal das Prinzip der Vergebung verstehen, wenn wir dieses Prinzip der Vergebung, des Annehmens und Loslassens verstehen, dann möchte ich dich jetzt einmal mitnehmen wie dir diese Vergebung noch tiefer im Alltag begegnen kann - dieses Annehmen, dieses Loslassen.

Am tiefsten begegnet dir das vielleicht in persönlichen Beziehungen zu anderen Menschen. Wie meine ich das? Ist dein Atem noch da? Merkst du das? Atmest du noch? Merkst du noch die Bewegung des Atems? Dann machen wir das doch einmal in unserem Mental, in unserem Geist. In deinem Mental begegne einmal irgendeinem Menschen (das kann auch ein fiktiver Mensch sein) und du kannst dir vorstellen, dass du dich gerade streitest oder dich gerade unterhältst. Noch bevor du dich streitest, merkst du, dass dieser Mensch eine andere Meinung hat, und du merkst, wie die Gefühle da sind und du merkst wie der Atem da ist, das Meeresrauschen da ist, die Atemwellen da sind. Und du merkst wie die Gefühle kommen, du unterdrückst die Gefühle nicht, aber du unterdrückst auch nicht den Atem. Wenn du den Atem nicht unterdrückst – ist da Frieden? Du wirst merken, wie die Gefühle, dieser andere Mensch, seine Anwesenheit im Raum dir vielleicht sogar den Atem nimmt – urgghh! –  dir so einen Druck macht. Es kann sein, dass du versuchst gegen dieses Urrggh-Gefühl, gegen diesen Atemdruck dagegenzudrücken, um dich frei zu fühlen. Ich weiß nicht. Du kannst es probieren, vielleicht funktioniert es, aber wenn es das nach ein, zwei Atemzügen nicht getan hat, dann probiere eine andere Variante! Und vielleicht kannst du merken, in irgendeiner Variante: dieser Mensch ist da, der Atem ist frei! Jetzt ist dieser Mensch da, und er schreit dich vielleicht an oder er jammert und weint, er schimpft oder was auch immer er macht, ich weiß es nicht, das ist eigentlich gleichgültig. Er macht das, und du entkoppelst dich nicht von dem anderen, du ziehst dich nicht zurück – nein, nein, so gar nicht! Du verlierst nur nicht die Stille und die Freiheit in deinem Atem. Du findest den Weg im Körper, im Atem. Obwohl der Mensch schreit, ist dein Atem frei, weil du merkst: Das ist nur die Enge, die da in ihm schreit. Das hat mit dir nichts zu tun. Das, was du da spürst, wenn er schreit, ist Enge. Das ist nur so, als ob er gähnt und du gähnst mit. Wenn du die Enge merkst, wenn dieser andere Mensch schreit, dann spüre diese Enge in deinem Atem und du nimmst es nicht persönlich, nimmst es überhaupt nicht persönlich, du versuchst auch überhaupt gar nicht, das im anderen zu lösen, sondern du wirst Zeuge, wie dein Atem, wie dein Körper, förmlich fast wie von alleine, so scheint es, die Lösung findet, indem er fühlend bewusst atmet. Und wenn du jetzt so den anderen Menschen betrachtest, merkst du, dass du ihn gar nicht mehr anklagst. Dass du ihn nicht in Schuld setzt, in Schande setzt, und auch, dass du dich nicht in Schuld setzt, in Schande setzt. Dass du ihn frei lässt! Dass du dich frei lässt! Dass du vergibst. Dass dieser Prozess des Vergebens dir erfahrbar wird in deinem Atem, in deinem Körper. Ich weiß nicht, kannst du das merken, dass das geschieht? Es kann sein, dass ich dich etwas überfordere. Achte einfach wieder auf deinen Atem. Oder: schlaf einfach wieder ein. So als wenn du am Strand liegen würdest. Spür die Sonne auf deinen Wangen, auf deinem nackten Körper. Merke das Rauschen des Meeres, wie es kommt, wie es geht. Schlaf einfach ein. Vielleicht kommst du ja in diesen Zustand wie kurz vor dem Einschlafen - du merkst wie der Druck im Atem geht, wie so etwas ganz Intimes, ganz Vertrautes dir begegnet. Etwas das dir ganz nah ist, du dir selbst begegnest. Ganz einfach und null kompliziert. Vielleicht geschieht das.

 

Der Schauer der Heilung

Kannst du es körperlich merken, diesen Schauer, der durch den Körper geht? Kannst du merken, mein Freund, dieser Schauer, das ist Verzeihen. Dieses Ausatmen - dieses Loslassen, das ist Vergeben. Das ist Annehmen. Das ist Loslassen. Das ist der Schlüssel zu Liebe, ist der Schlüssel zu Freiheit. Das ist der Schlüssel zur Heilung. Hier geschieht Heilung! Hier geschieht Liebe! Bist du Zeuge davon, dass Freiheit gerade geschieht? Es ist so einfach! Ein- und Aus-atmen und nicht anhalten. Merken wie die Luft rein und wieder rausgeht. Nach dem Rausgehen sogar komischerweise noch weiter rausgeht. Wie es dann wieder reingeht, in diesem sanften Moment, wie es umschaltet von der Ein- in die Aus-Atmung, dieser sanfte Augenblick. Diesen sanften Moment – bekommst du den mit? Da ist Vergebung - in diesem sanften Moment der Ein- und Aus-Atmung. Da ist Loslassen. Da ist Annehmen. Da ist Akzeptanz.